Schritt für Schritt ins Paradies

Dass der ostbayerische Raum eine beliebte Urlaubsregion ist, dürfte bekannt sein. Schön haben wir’s hier bei uns. „Entdecken Sie jetzt die Vielfalt des Bayerischen Waldes“, wirbt das offizielle Portal für Reisen & Urlaub im Bayerischen Wald. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt sind damit wohl eher nicht gemeint. Erstaunlich ist jedoch, dass sich ausgerechnet im Landkreis Freyung-Grafenau ein selbst erklärtes queeres Bierhotel (sic!) findet, mit Angeboten, die sich „Love is love“ und „Pride Days“ nennen. Betreiber Bernhard Sitter jun. erklärt auf der Website des Guts Riedelsbach: „Ihr könnt euch sicherlich vorstellen, dass es mir im Bayerischen Wald nicht leichtgefallen ist, mich zu outen.“ Er verspricht „die perfekte Auszeit für alle Gays, Lesben und deren Freunde“.
Gut 60 Kilometer Luftlinie entfernt liegt der Heilklimatische Kurort Bodenmais, der 2008 noch vom LGBTQ+-Onlinemagazin Queer.de aufgrund des neu gewählten Bürgermeisters als die „neue Gay-Destination“ bezeichnet wurde. „Ich bin alles, was man in Bodenmais nicht sein darf: jung, evangelisch und offen schwul“, sagte Michael Adam damals. Der Woid, ein Urlaubsparadies für die LGBTQ+-Community? Bereits aus den beiden Zitaten wird klar, dass die Lage ganz so unbeschwert nicht sein kann.
Weitere hundert Kilometer nordwestlich kämpft in Amberg ein breites Bündnis gegen das Vergessen. 1995 wurde dort Klaus Peter Beer aufgrund seiner Homosexualität von Neonazis bewusstlos geschlagen und in die Vils geworfen, wo er ertrank. Jahrelang sperrte sich die Stadt gegen ein würdiges Gedenken, bevor auf Drängen der Initiative 2020 zumindest eine offizielle Gedenktafel angebracht wurde. Das Bündnis macht klar: „Diese abscheuliche Gewalttat war kein singuläres Ereignis in einer ansonsten friedlichen und von Rassismus und Neonazismus freien Stadt, sondern reiht sich ein in eine Kontinuität rechter Gewalt in der Region.“
Im Landkreis Cham wurde 2020 ein Mann mit dem Decknamen Heydrich festgenommen, der als Teil der internationalen Führungsriege der Feuerkrieg Division (FKD) gilt und einen rechtsterroristischen Anschlag geplant haben soll. „Die FKD hängt einer zutiefst rassistischen Ideologie an, ins Visier hat sie Muslime und Juden genommen, aber auch Homosexuelle oder Kommunisten“, schreibt die taz dazu. Er wurde zu gerade einmal zwei Jahren Haft verurteilt, selbst verortete er sich politisch übrigens bei der AfD. Die AfD wiederum, deren Politiker sich regelmäßig LGBTQ+-feindlich äußern und ein Klima des Hasses befeuern, erzielt insbesondere in Ostbayern auffällig hohe Wahlergebnisse. Erinnern dürften sich in diesem Zusammenhang einige auch an die Plakataktionen der neonazistischen Kleinstpartei Der III. Weg: In den kleinsten Dörfern tauchte auf Wahlplakaten anderer Parteien unter anderem der Slogan „Gesunde Familien statt Homo-Propa­ganda“ auf. Und blieb mitunter tagelang hängen.
Rechtsextreme haben Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit nicht für sich allein gepachtet. Auch Vertreter der katholischen Kirche (freilich nicht alle) haben zum Privatleben queerer Menschen einiges zu sagen. So kritisiert der Lesben- und Schwulenverband zum Beispiel eine Predigt des Passauer Bischofs Stefan Oster Ende 2020, in der er neben der Herabwürdigung von intersexuellen und trans Personen Folgendes sagte: „Ich durfte in meinem Leben sehr beeindruckende Menschen kennenlernen, die homosexuell empfinden, auch sehr gläubige. Darunter sind solche, die in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften leben und die zutiefst unter dem leiden, was die Kirche zu Homosexualität sagt. […] Und dennoch sagt die Kirche, dass das Ausleben dieser Neigung, nicht die Neigung selbst, aber das Ausleben dieser Neigung, Sünde ist, nicht richtig ist.“ Sein Credo: Homosexuelle leiden zutiefst unter der Haltung der Kirche und das ist auch richtig so. Auch der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer spricht sich gegen die Segnung queerer Paare aus.
Hinzu, das ist die größte Belastung im Alltag, kommt mit fließendem Übergang die LGBTQ+-Feindlichkeit aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Der noch wohlmeinende Tenor hier: Homosexualität und andere „Abnormalitäten“ würden toleriert, solange „die“ das zu Hause machen. Solange „die“ mich nicht anfassen. Auf den Schulhöfen gelten vermeintlich feminine Züge unter Männern als „voll gay“, und in den Bänken und Tischen ist neben den stilisierten Fenstern, die einmal Hakenkreuze waren, die Bezeichnung „Schwuchtel“ eingeritzt. Es geht unter die Haut. Teenager sind eben so, hört man dann oft, das dürfe man nicht ernst nehmen. Nur: Man war damals selbst auch nur ein Teenager. Verletzlich und auf der Suche nach einem Mindestmaß an Anerkennung und Zugehörigkeitsgefühl, nach Liebe und Partnerschaft, oft allein auf weiter Flur. Es scheint besonders das Aufwachsen zu sein, das schwierig ist auf dem Land. Die Angst, die Einsamkeit im Paradies zwischen all den Evas und Adams.
Es ist nicht verwunderlich, dass viele queere junge Menschen in den süßsauren Apfel beißen und wegziehen, sobald sie es können, den Bayerischen Wald erst mal noch leerer hinter sich lassen. Denn es gibt nichts, das sie auffängt, das sie hält. Es gibt in vielen Gegenden keine Treffpunkte, keine Anlaufstellen, keine Sichtbarkeit, dafür wenig Verständnis bis offene Ablehnung. Die nächste Notschlafstelle für queere Jugendliche und junge Erwachsene, die nach dem Outing aus ihrer Familie rausmüssen, ist in München. Einen Aktionsplan gegen LGBTQ+-Feindlichkeit wie in anderen Bundesländern gibt es in Bayern nicht, vielerorts fehlt es am Wissen um queere Lebensrealitäten. In der Umfrage „Queer in Bayern“ der Landtagsfraktion der Grünen mit knapp 900 Teilnehmenden, die 2020 veröffentlicht wurde, gab die Hälfte der auf dem Land aufgewachsenen queeren Personen (2/3 aller Befragten) an, in die Stadt gezogen zu sein: „Knapp nach beruflichen Gründen stellen queere Angebote, der Anschluss an die queere Community sowie die Akzeptanz gegenüber sexueller und geschlechtlicher Vielfalt […] einen häufigen Grund des Umzugs in die Stadt dar.“ Queersein ist für einen Wohnortwechsel also für viele ausschlaggebender als andere persönliche Gründe, Ausbildung und Studium, das Kultur- und Freizeitangebot oder die städtische Atmosphäre.
Gibt es einen anderen Ausweg? Mit Hoffnung und heilendem Herzen lässt sich sagen, dass sich einer abzuzeichnen scheint: Vor allem in der Sichtbarkeit von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt liegt der Wandel begriffen. Ein Wandel, der sich seit einiger Zeit anbahnt. Angebahnt wird. Da gibt es leise Anzeichen. In den Instagram-Profilen der Jüngeren tauchen Pride-Flaggen auf. Die Jugendlichen von heute zeigen mehr Mut als die von gestern und outen sich ganz offen. Vielleicht haben sie auch mehr Grund dazu, weil sich doch etwas verändert hat, sogar hier bei uns. Und es gibt Paukenschläge. Richtigerweise hätte es weiter oben heißen müssen: Es gab in vielen Gegenden lange keine Treffpunkte, keine Anlaufstellen, keine Sichtbarkeit. Das hat sich in den letzten Jahren zumindest in einigen Orten Ostbayerns fundamental verändert:
In Amberg hat sich 2018 das Netzwerk Kunterbunt zusammengefunden, das Christopher-Street-Days (CSD) in der Innenstadt organisiert und persönliche Beratung anbietet. Es gibt eine Jugendgruppe und eine für Menschen ab 30. „Wir möchten queeren Personen eine Plattform zur Vernetzung geben, sowie ihnen und ihren Angehörigen bei Fragen und Problemen zur Seite stehen oder bei der Selbstfindungsphase unterstützen. Wir möchten zudem die queere Community in ihren Belangen vertreten, dass queere Personen gleichgestellt, gleichberechtigt und selbstbestimmt in der Gesellschaft leben können.“ Auf ihrer Website kann man Erfahrungsberichte lesen, die erschütternd sind und doch vermitteln, nicht allein zu sein.
In Pirk hat sich 2019 der Verein Equality Oberpfalz gegründet, der ebenfalls eine Anlaufstelle für alle LGBTQ+-Personen sein will. „Gerade auf dem Land oder ländlichen Gebieten haben LGBT+-Menschen noch immer mit negativen Äußerungen ihrer Mitmenschen zu kämpfen. Leider auch in Bayern, leider auch bei uns in der Oberpfalz.“ Die Aktiven haben es sich zur Aufgabe gemacht, „in der Öffentlichkeit bestehende Vorurteile gegenüber Lesben, Schwulen, Bi-, Trans-, Inter- und Asexuellen sowie queeren Personen (LSBTIQ*) abzubauen und der Diskriminierung dieser Personengruppen entgegenzuwirken“. In Landshut gründete sich ebenfalls 2019 der Verein Queer in Niederbayern. Die Mitglieder teilen die Ziele ihrer Mitstreitenden in der Oberpfalz, stehen ein für „die Vielfalt queerer* Lebensentwürfe und Lebensformen, für Freiheit sowie ein gutes Leben jenseits von Gewalt und Diskriminierung“ und stellen Treffen, Stammtische und CSDs in gleich vier Orten auf die Beine. In Passau gingen dieses Jahr 700 Menschen auf die Straße.
Der Woid ändert sich nicht von heute auf morgen, die Probleme bleiben. Aber es tut sich was, etwas unglaublich Wichtiges und Wertvolles. Ein paar Treffpunkte, Anlaufstellen, ein bisschen Sichtbarkeit. Gegen die Angst, gegen das Alleinsein. Wir könnten’s so schön haben hier bei uns. Auf meinem ersten CSD in Ostbayern habe auch ich die Vielfalt des Bayerischen Waldes entdeckt. „Wer wird die neue Welt bauen, wenn nicht du und ich?“, sang Rio Reiser von Ton Steine Scherben. „Und der lange Weg, der vor uns liegt, führt Schritt für Schritt ins Paradies.“
VERONIKA ERTL

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