Der Kreis des Verzögerungskünstlers schließt sich

Rudi Hurzlmeier, der Schöpfer der „Hurzlmeiermalereien“, wurde in Mallersdorf geboren. Wesentliche Jahre seiner künstlerischen Prägung hat er in Regensburg erlebt.

Ein Beitrag aus dem magazin lichtung 2019/1
von Peter Geiger

Rudi Hurzlmeier im Atelier
Foto: W.H. Gabriella

 Dass hinter jeder Süddeutschen Zeitung ein kluger Kopf steckt, versteht sich von selbst. Gleichzeitig wissen die Leser des Weltblatts aus dem Millionendorf neuerdings auch immer ein bisschen mehr als die von der Konkurrenz. Denn seit Rudi Hurzlmeier allsamstäglich eine „Hurzlmeiermalerei“ beiträgt – seit Januar 2018 ist das der Fall –, seither erfahren die Leser, wie das so ist im Verhältnis zwischen Mensch und Tier. Oder bei den Tieren untereinander. Welche Gefahren drohen, wenn beispielsweise ein Zirkusdompteur seinen Kopf in das Maul eines Löwen steckt – und der andere in den Popo eines Elefanten. Oder wie sich ein Kater und eine Eule nächtens hoch in einem Baum darüber beratschlagen, wer wie viele Mäuse fangen darf. Daran sieht man schon: Der Humor des Rudi Hurzl­meier, er bewegt sich immer subtil an Grenzen entlang. Nie kommt er brachial daher. Aber: Der Tod, das Verschwinden, die Vernichtung – all diese Endzeit-Szenarien lauern bei Rudi Hurzlmeier hinter jeder Ecke. Aus diesem Nebeneinander von Idyll und Schrecken, aus dieser Reibung entsteht der Funke des Witzes.
An jenem November-Wochenende, an dem ich Rudi Hurzlmeier in einem Café mitten im Münchener Stadtteil Lehel treffe (dort also, wo Lion Feuchtwanger zuhause war und später auch Georg Britting), da ist ein Cartoon erschienen, der wirklich jedem Humorfass den Boden ausschlägt: Unter der Überschrift „Modernes Miezhaus“ sind zwei lesende Katzen zu sehen. Die eine ganz dürr und klein, die andere dagegen respektabel genährt und groß. Der Eindruck des Idylls und der Gemütlichkeit freilich, der verflüchtigt sich, je genauer und länger man hinschaut. Denn was machen die beiden, die vielleicht Vater und Sohn sind oder Mutter und Tochter? Sie lesen einen Micky-Maus-­Comic! Und das tun sie nicht – ausdrücklich hake ich nochmal nach –, weil an diesem Wochenende Micky 90. Geburtstag feiert. Nein! Sie tun es allein deshalb, damit ihnen schon mal das Wasser im Mund zusammenläuft. Die beiden lesen sich einen ordentlichen Appetit auf Mäuse an! Mahlzeit!

Ich bin gekommen, um mit ihm, der im letzten Frühjahr im Luftmuseum in Amberg oben im ersten Stock in der kurfürstlichen Kapelle Wolkenbilder ausgestellt hatte, über seine Zeit in Regensburg zu reden. Das hatte er so ganz nebenbei erwähnt, kurz nachdem er sich auch noch als Erfinder des durch einen Hape- Kerkeling-Sketch zum geflügelten Wort geadelten „Hurz!“ („Der Wolf!“ – „Das Lamm!“) geoutet hatte. „Ja, ja“, hatte er beim gemeinsamen Bilderanschauen ein bisschen undeutlich vor sich hingenuschelt, „da binne ja in d’Schul ganga!“ Und hatte dann noch ergänzt, dass er 1952 im niederbayerischen Mallersdorf geboren und unweit von Schierling aufgewachsen sei. Als Jugendlicher habe er schließlich das Goethe-Gymnasium im Regensburger Stadtwesten draußen besucht. Aber nicht allzu lange. Weil er nach der 9. Klasse dort schon wieder hinausflog. Weshalb er als 15-Jähriger eine Dekorateurslehre begann, bei der Bekleidungskette Hettlage, die damals im Goliathhaus eine große Filiale auf mehreren Etagen betrieb.
Mein Interesse war geweckt. Das klang nach einem bohemienhaften Leben in den mittleren 1960ern in der katholischen Provinz. Und nach der Biographie eines frühen Dropouts, der während der sensiblen Phase der Adoleszenz scheitert, an den hohen Hürden, die die bildungsbürgerliche Schulfestung errichtet hatte. Dessen Talent aber irgendwann so übermächtig werden und so deutlich zu Tage treten sollte, dass sich die Welt (respektive auch: die sich wandelnde Gesellschaft dieser Zeit) einem solchen Scharnierl (wie man in Bayern zu Genies sagt) nicht dauerhaft verweigern konnte.
Jetzt sitzen wir uns also an einem kleinen Tischchen ganz hinten im Eck des Lokals gegenüber. Rudi Hurzlmeier trinkt seinen Kaffee schwarz. Und ich habe mir einen Cappuccino bestellt. Und schon sind wir mittendrin im Thema: Wenn er zufällig auf eine eigene Arbeit stößt, sei’s in einer Zeitschrift oder im Archiv, ob er da lachen müsse? Ganz ernst schaut er. Denkt kurz nach. Und schüttelt dann nur den Kopf. „Dazu bin ich wohl viel zu abgebrüht, um meine Sachen lustig zu finden!“ Und plaudert dann sogleich über seine Strategie, wie er den Betrachter aufs Glatteis zu führen versucht. Dass er ihn von Anfang ablenken will, um ein paar Momente der Offen- und der Unentschlossenheit zu gewinnen. Ihn auf falsche Fährten lenkt, mit einem Titel etwa, der mehrdeutig ist. Dies alles macht er, wie mit dem Miezhaus beispielsweise, um dafür zu sorgen, dass der Aha-Effekt, jener Augenblick also, wenn der Betrachter den Witz kapiert, möglichst weit nach hinten hinausgezögert wird.
Vielleicht ist ja auch jenes höhere Wesen, das Regie über das Leben des Rudi Hurzlmeier führt, mit genau jenem Talent ausgestattet. Die Pointe, den Witz, das, worauf’s ankommt, soweit wie möglich nach hinten zu transferieren. Denn diese Regensburger Zeit, die bald in die Murnauer Zivildienst- und dann in die Münchener Taxifahrer- und Antiquitätenhändler-Zeit münden sollte, sie war wohl bei aller vordergründigen Lausbubenhaftigkeit am Ende dann doch kein Zuckerschlecken. Das ging schon damit an, dass die Eltern zunächst nichts erfahren durften vom Schulverweis. Auch die Lehrer, die er hatte, schildert er als Gruselkabinett. Kriegsteilnehmer mit allzu kruden Vorstellungen davon, wie man mit jungen, energiegeladenen Menschen umzugehen habe. Als angehender Dekorateur musste er an langen Samstagen bei Hettlage im Verkauf aushelfen – und machte sich einen Spaß daraus, gemeinsam mit Ehegattinnen den bis auf die Unterhose entblößten Männern in ihren Umkleidekabinen die Mode dieser Jahre aufzuschwatzen. Lila Samtanzüge. Grüne Krawatten. Auberginefarbene Pullover.

Mit Freunden gründet er eine Wohngemeinschaft, gar nicht weit vom Emmeramsplatz. Die Stadt ist grau. Aber die Mieten sind sehr günstig. Rudi Hurzlmeier trommelt in einer Band, „auf sehr dürftigem Niveau“, wie er sagt. Notenblätter haben sie keine. Sie spielen rein nach Gehör. Unten an der Donau, dort, wo auch tagsüber Prostituierte herumlaufen, haben sie ihren Proberaum. Sie eifern Vorbildern wie Guru Guru nach. Ein Zuhälter, der immer wieder von draußen durchs Fenster schaut, sagt zu ihm: „Dua amal die Stecka her!“ Und dann zeigt er ihm die Tricks, auf die’s ankommt.
Eine Kunstakademie hat Rudi Hurzl­meier nie besucht. Ganz einfach deshalb, weil es ohnehin keine Lehrer für ihn gegeben hätte. Er war schon immer aufs Gegenständliche fixiert. Malt lieber nackte Menschen als angezogene. Weil die keinen Moden unterworfen sind. Und am allerliebsten Tiere. Wegen der Formenvielfalt, von Regenwurm bis Elefant. In den siebziger Jahren, als alle sich in Abstraktionen ergingen, da war Rudi Hurzlmeier ein Einzelgänger. Sein Talent, das schon in Kindertagen erkennbar war, verfeinert er im Selbststudium. Schickt immer wieder Arbeiten an Robert Gernhardt, der bei Pardon die „Welt im Spiegel“ verantwortete. Als die Satirezeitschrift Titanic gegründet ist, gibt ihm Gernhardt schließlich grünes Licht. Seither lebt Rudi Hurzlmeier, der Autodidakt, von der Malerei. Und zeichnet regelmäßig für die Titanic. Wurde zweimal mit dem Deutschen Karikaturenpreis und einmal mit dem Göttinger Elch ausgezeichnet. Hat einen sehr berühmten Raben für den Haffmans Verlag gemalt. Illustriert Bücher, von Elke Heidenreich bis Harry Rowohlt. Und ist neuerdings auch für die Süddeutsche Zeitung tätig. Aber das lässt sich ja gleich am Anfang dieses Artikels nachlesen.

 

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